PET NEEDS

Foto© by Vanessa Sollner

Katzenfutter

Ausverkaufte Konzerte, massives Radio-Airplay und Touren rund um den Globus, das ist das Leben von PET NEEDS. Dabei hat die Band aus der britischen Kleinstadt Colchester erst vor drei Jahren ihr Debütalbum „Fractured Party Music“ veröffentlicht. Mit ihrer neoklassischen Variante von hymnischem Pop-Punk treffen sie offenbar den Nerv der Zeit und gelten als neue Hoffnung des britischen Punkrock. Für die Band haben die Musiker ihre Jobs gekündigt und ihre Partnerinnen vertröstet, um fast 18 Monate lang quasi nonstop unterwegs zu sein. Mit dem dritten Album „Intermittent Fast Living“ wird sich daran vermutlich nicht viel ändern. Sänger Johnny Marriott erzählt uns, wie es dazu gekommen ist.

Du hast die Band zusammen mit deinem Bruder George als „Bedroom-Project“ gestartet. Wie ist es dazu gekommen?

Das war vor ungefähr sieben Jahren. Ich wohne in Colchester in der Grafschaft Essex, das ist rund 100 Kilometer östlich von London. Eigentlich stamme ich aber aus Derby in den East Midlands und mein kleiner Bruder George hat zu diesem Zeitpunkt immer noch dort gewohnt. Damals hat er schon einige Zeit in einer Tankstelle gearbeitet und war total frustriert vom Leben. Deshalb habe ich zu ihm gesagt: Schmeiß deinen Job hin, komm nach Colchester und zieh zu mir. Mal schauen, was so passiert. Er spielt Gitarre und ich spiele Gitarre, also haben wir angefangen Songs zu schreiben. Einfach so zum Spaß. Dann haben wir die nächsten drei Jahre damit verbracht, in irgendwelchen Kneipen Konzerte für unsere Kumpels zu geben. Dann konnten wir im Lockdown einen Plattenvertrag ergattern, und als alles wieder geöffnet hatte, sind wir auf Tour gegangen und haben bis heute nicht damit aufgehört. PET NEEDS ist für uns beide die erste Band, mit der wir unseren Lebensunterhalt bestreiten können. Das ist wirklich cool.

Welche Rolle haben AGAINST ME! bei eurer Bandgründung gespielt?
Eine Textzeile des AGAINST ME!-Songs „New wave“ hat uns sehr inspiriert. Die lautet: „We can be the bands that we want to hear“. Zu diesem Zeitpunkt habe ich allein Musik auf meiner Akustikgitarre gemacht und wurde immer wieder von Folk-Festivals gebucht, auf denen vor allem Menschen mit Geigen und Rasseln aufgetreten sind. Irgendwann habe ich mir gesagt, ich möchte eigentlich lieber die Musik machen, die ich selbst höre, und ich habe immer nur Punkrock gehört. Also war ich in dieser introvertierten Folk-Szene völlig fehl am Platz. Deshalb hat mich der Song von AGAINST ME! so davon überzeugt, meinem Herzen zu folgen. Inzwischen ist Laura Jane Grace eine gute Freundin und ein großer Fan von PET NEEDS, was unglaublich ist. Denn sie hat uns dazu gebracht, selbst die Musik zu machen, die wir mögen.

Wir seid ihr auf den Namen PET NEEDS gekommen? Das klingt ein bisschen nach PET SHOP BOYS.
Ja, haha. Als wir angefangen haben, haben wir einem befreundeten Promoter ein Demo ohne Bandnamen geschickt. Der hat uns einen Auftritt in einer Bar in Colchester besorgt und fragte uns, welchen Namen er auf die Poster drucken lassen soll. Dann haben wir ihm gesagt: Wir melden uns in 24 Stunden mit einem Namen. Dann haben wir uns in einer Kneipe stundenlang den Kopf zerbrochen, aber die meisten Ideen waren einfach nur furchtbar. Um zwei Uhr früh sind wir nach Hause gekommen und ich wollte nur noch schnell meine Katze füttern. Auf der Packung mit dem Katzenfutter stand: „Your pet needs to be fed twice a day.“ Das haben wir auf PET NEEDS verkürzt und wollten es als vorübergehenden Namen verwenden. Und jetzt ist es seit sieben Jahren dabei geblieben.

Vor drei Jahren ist euer Debütalbum „Fractured Party Music“ erschienen und gleich durch die Decke gegangen. Was ist seitdem passiert?
Unser erstes Album haben wir zwischen den beiden Lockdowns in England aufgenommen. Damals wussten wir nicht, ob Bands jemals wieder Konzerte spielen können. Wir wollten deshalb unbedingt ein Album aufnehmen, damit wir sagen können, wir haben das mal erlebt. Dann haben Xtra Mile Recordings das Album herausgebracht und gesagt: Wenn der Lockdown beendet ist, müsst ihr eure Jobs kündigen, um das Album vernünftig zu promoten. Im ersten Jahr haben wir noch versucht, beides unter einen Hut zu bekommen, aber es war schon klar, dass unsere Leben sich radikal verändern würden. In den letzten beiden Jahren waren wir jeweils acht Monate lang auf Tour und standen mit unseren Lieblings-Punkbands gemeinsam auf der Bühne. Wir waren in Europa mit FLOGGING MOLLY unterwegs, wir waren in den USA auf Tour mit BOUNCING SOULS, in UK haben wir eine Tour mit THE LOTTERY WINNERS gespielt. Wir waren im November Teil der Salty Dog Cruise auf einem Kreuzfahrtschiff von Miami nach Mexiko mit PENNYWISE, STIFF LITTLE FINGERS und THE VANDALS. Wir leben also praktisch nonstop auf der Straße, bis auf ein paar wenige Tage. Es ist wirklich eine große Ausnahme, wenn ich mal in meinem eigenen Bett schlafen darf.

Welchen Beruf hattest du vor PET NEEDS?
Ich habe für eine Studentenvereinigung an der Universität von Essex gearbeitet und Veranstaltungen organisiert. Kurioserweise haben wir unsere letzte Show im vergangenen Jahr im Sub Zero gespielt. Ein Venue an meiner alten Uni, in das tausend Leute passen. Das war die größte Headliner-Show, die wir je gespielt haben. Als ich meinem Chef gesagt habe, dass ich meinen Job kündige und Vollzeit in einer Band spielen will, sagte er in der Abschieds-Zoom-Schalte: Wenn du zurückkommst, machst du das Sub Zero voll! Alle inklusive mir haben damals gelacht, aber tatsächlich ist es so gekommen. Das ist wirklich verrückt.

Auf dem neuen Album „Intermittent Fast Living“ beschreibst du euer neues Leben auf der Überholspur. Warum diese Nabelschau?
Das Album ist in zwei kurzen, sehr kreativen Phasen entstanden. Normalerweise brauchen wir ein ganzes Jahr, um ein Album zu schreiben. Diesmal habe ich zwei Wochen im Januar und zwei Wochen im März genutzt, in denen ich mal zu Hause war. Damals habe ich es unheimlich genossen, Zeit mit meiner Frau und unserem Hund zu verbringen. Nur wir zwei, völlig entschleunigt. Fast wie in Zeitlupe. So ist die Idee entstanden, eine Art Liebesbrief an meine kleine Heimatstadt, meine Freunde und unsere kleine Wohnung zu schreiben, die ich sehr vermisse, wenn ich unterwegs bin. Und zwar aus der Perspektive einer Band, die rund um den Globus unterwegs ist. Deshalb ja auch der Albumtitel „Intermittent Fast Living“, was so viel heißt wie Stop-and-Go-Leben. Mein Tempo ist entweder fünf Stundenkilometer in Colchester oder 200 Stundenkilometer auf Tour. Dazwischen gibt es nicht viel.

Die erste Single heißt „Separation anxiety“. Das ist ein Liebeslied für deine Frau, oder?
Ich bin mit meiner Frau Loma schon sehr lange zusammen, wir sind fast zehn Jahre verheiratet. Vor PET NEEDS war ich nie länger als ein paar Wochen von ihr getrennt. Sie ist nicht besonders romantisch im herkömmlichen Sinn, also musste ein Liebeslied für sie ein bisschen komisch und anders sein. Deshalb will der Protagonist in dem Song unbedingt seine Zuneigung beweisen, indem er einen Wettbewerb mit anderen startet, wer mehr verliebt ist. Ich mag die verschrobenen Lovesongs von Nick Cave, so ähnlich wollte ich dieses Lied auch gestalten. „Separation anxiety“ sollte also meine Gefühle für Loma ausdrücken, aber gleichzeitig auch Spaß machen.

Was willst du mit dem Song „Fingernails“ ausdrücken?
Das Stück thematisiert mein Worst-Case-Scenario-Denken. Ich habe diese merkwürdige Angst, die viele Menschen sicher teilen. Wenn ich einen Anruf von jemandem verpasse, mit dem ich lange nicht gesprochen habe, bekomme ich sofort Panik, dass etwas Schlimmes passiert ist. Wenn ich von einem Autounfall höre, befürchte ich immer gleich dass alles kaputt ist und alle Beteiligten massiv verletzt sind. Ich muss mich immer zwingen, nicht so zu denken. Mein Gehirn will mich aber immer glauben lassen, dass meine Frau von einem Auto überfahren wird, wenn sie zum Einkaufen geht. Zum Glück habe ich Psychologie studiert, also kann ich mich gut selbst analysieren und all das in Songs packen. Trotzdem entscheidet sich mein Verstand immer wieder, mich nicht zu mögen, haha.

Lass uns über den Sound des Albums reden. In meinen Augen klassischer Pop-Punk mit einem sehr modernen Vibe. Woher kommt der?
Das neue Album haben wir zusammen mit George Perks aufgenommen, der schon Bands wie ENTER SHIKARI, MOGWAI oder SKINDRED produziert hat. Weil er der Freund eines Freundes ist, hat er uns einen guten Preis gemacht und so konnten wir „Intermittent Fast Living“ in seinen Vada Studios in der Nähe von Alcester aufnehmen. George hat von Anfang an gesagt, dass er etwas schaffen möchte, das ikonisch klingt. Deshalb hatten wir US-Punkbands aus den Neunzigern im Blick und gleichzeitig hat er sehr moderne Methoden, um Musik groß klingen zu lassen. Mein Bruder und ich haben fertige Demos mitgebracht. Die Songs und die Arrangements standen also bereits und dann hat George Perks unserem Sound die nötige Würze verpasst.

Star-Produzent, ausverkaufte Shows, großartige Reviews. Seid ihr eigentlich überrascht davon, wie gut es mit PET NEEDS läuft?
Absolut. Wir dachten immer, wir machen das alles, um vor hundert Freunden im Pub um die Ecke zu spielen. Immer nur an den Wochenenden und dazwischen ganz normal arbeiten. Entweder unsere eigenen Shows oder die Konzerte von unseren Kumpels anschauen. Das war unsere Vision am Anfang. Dass jemand einen Auftritt von uns in London besucht und uns dann einen Plattendeal verschafft, war totales Glück und kam völlig unerwartet. Alles, was jetzt passiert, ist so weit weg von unserer ursprünglichen Vorstellung, wie es nur sein kann. Wir dachten immer, wir werden immer alle unsere Gäste namentlich kennen. Jetzt sitze ich hier und wir haben im Jahr 2023 mehr als 130 Shows in 14 Ländern gespielt. Ich kann immer noch nicht glauben, dass das alles passiert ist.

Ihr hattet einen prominenten Helfer auf eurem Weg. Frank Turner hat euch massiv unterstützt. Wie kam es dazu?
Wir haben ihm praktisch alles zu verdanken. Er war derjenige, der uns in London entdeckt hat. Er hat unser erstes Album produziert. Er hat das Album an unser Label Xtra Mile Recordings geschickt, wo er selbst unter Vertrag steht. Und als nach dem Lockdown alles wieder geöffnet hatte, hat uns auf seine Welttour mitgenommen. Das waren siebzig oder achtzig Shows. Wir waren Support auf seiner „50 States in 50 Days“-Tour in den Vereinigten Staaten. Wir sind mit ihm in der Brixton Academy in London vor über 5.000 Menschen aufgetreten. Danach folgten ähnlich große Venues wie Nottingham Rock City. Da war ich selbst oft als Besucher und hätte nie gedacht, dass ich da mal selber auf der Bühne stehen würde. Frank Turner hat uns eine wunderbare Plattform gegeben, auf der wir uns optimal präsentieren konnten, um jetzt selbst erfolgreich zu sein. Anfangs hatten wir Angst, dass wir dieses „Goldene Ticket“ bekommen und dann wieder zu unseren alten Jobs zurückkehren müssen. Aber es kam alles ganz anders. Dieses Jahr waren wir mit anderen Bands unterwegs und es hat genauso funktioniert. Unsere Karriere scheint sich also fortzusetzen. Und inzwischen lebt Frank sogar in Essex, nicht weit weg von uns. Er kommt also ab und zu auf ein Bier bei uns vorbei, wenn wir mal zu Hause sind.

Wie kam es, dass er sich spontan in euch verliebt und sich so für euch eingesetzt hat?
Ich denke, wir hatten einfach Glück. Wir hatten gerade unser Album aufgenommen, als er angefangen hat, sich als Produzent zu betätigen. Unser Album war zu diesem Zeitpunkt aufgenommen, aber noch nicht abgemischt. Gleichzeitig war er gerade auf der Suche nach Bands, mit denen er arbeiten kann. Damals hatte er nicht einmal ein Studio, in dem er aufnehmen kann. Das hat sich inzwischen geändert. Wir waren also zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Es war kurz vor dem zweiten Lockdown, er hatte jede Menge Zeit, wollte etwas produzieren und wir brauchten Unterstützung. Das passte einfach. Er hat erst kürzlich zu mir gesagt, er habe noch nie eine Band auf Tour mitgenommen, die jede Chance so konsequent genutzt hat, wie wir das gemacht haben. So sind wir Freunde geworden, weil wir einfach auf einer Wellenlänge sind. Was lustig ist: Ich habe ein Tattoo, das schon zwölf Jahre alt ist. Da steht: „No one gets remembered for the things they didn’t do“. Dieses Zitat stammt aus dem Song „Peggy sang the blues“ von seinem Album „England Keep My Bones“. Wenn du mir damals, als mir das stechen ließ, erzählt hättest, dass Frank Turner jetzt einer meiner besten Kumpels ist, hätte ich dich für verrückt erklärt.